Erste Hilfe – Mariana Leky

Mariana Leky schafft es durch ihre Bücher für ihre Leser eine ganz besondere Atmosphäre zu schaffen. Ich greife zu einer ihrer Geschichten, wenn ich auf der Suche nach gleichzeitig etwas leichtem, jedoch auch tiefsinnigem bin. Ihre Romane eignen sich am besten für Momente, wenn man sich in eine gemütliche Stimmung versetzt fühlen möchte. So als ob man in ein magisches Paralleluniversum eintauchen würde, das einem dennoch sehr vertraut scheint, da es fast komplett mit dem unseren übereinstimmt.

Erste Hilfe” las ich als drittes Buch von der Autorin, nach “Was Man von Hier Aus Sehen Kann” und “Kummer Aller Art“. Jedes Mal wenn ich in eine ihrer neuen Geschichten eintauche, fühlt es sich wie ein “nach Hause kommen” an. Ihr Stil verzaubert einen jedes Mal aufs Neue, man fühlt mit den beschriebenen Romanfiguren mit und man findet Parallelen, die einen an bestimmte Momente in dem eigenen Leben erinnern. Ein anderer Autor, bei dem es mir ähnlich geht, ist Haruki Murakami. So wie bei ihm, fühlen sich Leky’s erfundene Welten wie vertraute Zufluchtsorte an. Während ich ihre Geschichten lese, scheint die Zeit sich zu verlangsamen und man wird in einen Zustand von angenehmer Ruhe versetzt.

Matilda sagte “Vielen Dank”, als hätte ich ihr nicht das Wechselgeld gegeben, sondern ihr in letzter Sekunde die Tür eines Busses aufgehalten, den sie auf keinen Fall verpassen durfte. Das “Vielen Dank” klang benommen, als hätte sie nicht rennen müssen, um durch die aufgehaltene Bustür zu schlüpfen, sondern die ganze Zeit an der Bushaltestelle gestanden und nur vergessen einzusteigen […].

S. 19-20

“Bis morgen”, sagt sie.

“Bis morgen”, sagt Sylvester.

Matilda nimmt meine Hand und guckt Sylvester und mich an, als hätten wir ihr die Tür eines Busses aufgehalten, den sie auf keinen Fall hätte versäumen dürfen, und sie sieht aus, als sei sie sehr schnell gelaufen, um den Bus zu kriegen.

S. 173

Die besonderen, eigenartigen und teilweise schrägen Vergleiche sind definitiv ein Markenzeichen Lekys. Man wird durch sie immer wieder überrascht, welch einzigartige Bilder im Kopf durch die eigene Vorstellungskraft und dank solch einer gekonnten Wortwahl gemalt werden können.

Ganz oben auf dem Hängeschrank steht ein halber Kuchen, den jemand zu meinem Geburtstag mitgebracht und den danach niemand weggeschmissen hat. In der übriggebliebenen Kuchenhälfte stecken alle Kerzen, die eigentlich auf dem ganzen Kuchen gesteckt hatten. Sie sind schwarz-weiß geringelt und drängeln sich auf der engen Kuchenhälfte wie Pinguine auf einer Scholle, die sich plötzlich nicht mehr sicher sind, ob sie wirklich schwimmen können.

S. 187

Der Grund für die Bewertung mit 4/5 ★ liegt an dem Vergleich mit ihrem Roman “Was Man von Hier Aus Sehen Kann“, der mir bis jetzt am meisten gefallen hat. Man merkt den Unterschied, dass “Erste HIlfe” zuerst veröffentlicht wurde und der Stil der Autorin sich mit der Zeit verfeinert hat. Auch wenn Leky keine weltverändernden Geschichten schreibt, habe ich ihre Bücher ins Herz geschlossen. Sie schaffen es, gewisse Werte zu vermitteln, die in unserer Gesellschaft mit zunehmender Geschwindigkeit verschwinden. In “Erste Hilfe” lag der Fokus auf Partnerschaften, Freundschaften und anderen zwischenmenschlichen Beziehungen. Es ging um unerklärliche Anziehung, um das Verlieben, um die Liebe und um Fürsorglichkeit, die einem Menschen bieten können, die einem nahe stehen- Man bekam Einblicke in die kleinen Momente des Alltags, in Kleinigkeiten, welchen man sonst nicht viel Beachtung schenkt.

Wir fingen mit allem Möglichen durcheinander an, Matilda und ich hatten uns alles zu sagen und überhaupt nichts. […] Von dem Glücksgefühl, noch eine andere Glühbirne in Reserve zu haben, wenn die eine durchgebrannt ist. […] Davon, woher es kommt, dass jeder Wellen mag. […] Warum man Möbel mit Rollen beunruhigend findet […].

S. 91

Auf der Bettkante hat Matilda geweint, als wäre Weinen wie Nasenbluten, etwas, auf das einen andere hinweisen müssen, das man selbst nicht merkt.

S. 67

Nach diesem Buch hat sich Mariana Leky definitiv als eine meiner Schriftstellerinnen etabliert. Ich freue mich, den Rest ihrer Bücher zu lesen und weiß, dass ich jede ihrer neuen Veröffentlichungen mit Sicherheit kaufen würde. Für all jene, die bis jetzt noch kein Buch der Autorin gelesen haben, würde ich empfehlen, zumindest einem ihrer Romane einen Versuch zu geben. Ihr werdet schnell merken, ob ihre Art zu erzählen euer Ding ist oder nicht. Wenn sie jedoch bei euch Gefallen findet, werdet ihr bestimmt danach ihr ganzes Werk verschlingen wollen!

Erste Hilfe – Mariana Leky

★★★★☆ (4/5)

Edition: ISBN 978-3-8321-6458-4
DuMont, 2004

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