Die Zukunft ist nicht binär – Lydia Meyer

Dieses Buch ist mir genau im richtigen Moment zugeflogen. Gerade nachdem ich Linus Gieses Buch “Ich bin Linus” ausgelesen habe, ist das Verlangen größer geworden, mich in die Thematik von Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit zu vertiefen. Die Lektüre von “Die Zukunft ist nicht binär” war nicht die einfachste, da es für mich viele neue Bereiche in unserer Gesellschaft beleuchtet hat. Wir wissen mittlerweile, dass das Patriarchat uns eher schadet, dass wir alle gemeinsam Rassismus bekämpfen müssen, jedoch war es mir davor nicht bewusst, wie schädigend eine binäre Einordnung nach Geschlechtern sein kann und warum man sich von dieser entfernen sollte.

Das binäre Geschlechtersystem ist nicht alternativlos und auch gar nicht so naturgegeben oder selbstverständlich wie viele Menschen denken.

S. 162

Dass Mehrgeschlechtersysteme in vielen Gesellschaften auf der ganzen Welt schon immer existiert haben, viele Menschen aber nichts darüber wissen (wollen), ist kein Zufall, sondern die Folge von Macht, Unterdrückung und Rassismus. […] Mehrgeschlechterordnungen gab es schon immer, und modern sei vor allem die Gewalt gegen sie.

S. 161

Am besten ist es der Autorin gelungen, sich in das Thema von Trans- und Queerfeindlichkeit zu vertiefen, deren Ansätze und Theorie, die in den letzten Jahren an Popularität gewonnen haben, zu analysieren und so zu zerlegen, dass offensichtlich wird, weshalb sie keine wissenschaftlich korrekten Rechtfertigungen haben. Es wurden Lösungsansätze formuliert, Empfehlungen beschrieben, wie man solche Theorien entlarven sollte und klar erklärt, was mit dem derzeitigen Status quo nicht stimmt und wie alle Menschen von Veränderungen profitieren könnten.

Für viele nicht-binäre Menschen ist Sprache immer ein Krampf, und ich glaube, den wenigsten Menschen ist bewusst, wie anstrengend die deutsche Sprache für nicht-binäre Personen tatsächlich ist.

S. 142

Die Forschenden leiten daraus ab, dass geschlechtersensible Sprache unser Denken beeinflusst und wir nicht mehr so stark in traditionellen Geschlechterrollen denken, wenn wir geschlechtsneutrale Pronomen nutzen.

S. 146-147

Mein einziger kleiner Kritikpunkt wäre über die eingeworfenen englischen Wörter, während fast der gesamte Text auf deutsch geschrieben wurde (bis auf ein paar wenige Zitate, die auf englisch erwähnt wurden und danach auf deutsch übersetzt wurden): “Basically behauptet Littman […]” (S. 60 ), “Warum sind Menschen so obsessed mit […]” (S. 84), “[…] war für mich vor allem eines: relatable.” (S. 93), “[…] die zuvor erschienen sind, auch. That’s it.” (S. 104), “[…] in wissenschaftliche Papers […]” (S. 109), “[…] für sich selbst sprechen wollen – und können? Possible.” (S. 131), “Und die sollen unpolitische sein? I doubt it.” (S. 138) und “[…] genderqueere Menschen sind obsessed mit […]” (S. 144). Für mich hat es einfach nicht zusammengepasst, in einem teilweise sehr wissenschaftlichen Stil zu schreiben und dann immer wieder solche Wörter einzuwerfen, wenn es doch sehr einfach gewesen wäre, sie auf deutsch zu formulieren. Ich habe dabei persönlich aber einen strengeren Zugang und es ist auch der einzige Grund dafür, warum ich einen Punkt bei der Bewertung abziehe.

Ich persönlich habe dank des Buches viel neues gelernt, angefangen damit, was es bedeutet intergeschlechtlich zu sein, dass die binäre Geschlechterordnung das Patriarchat unterstützt, bis hin zu weshalb man nicht von einem “biologischen” Geschlecht sprechen kann und sollte.

Die binären und vermeintlich natürlichen Kategorien sind die Grundlage des Patriarchats. Sie sind der Kern der Unterdrückung, denen alle Menschen, die nicht cis männlich sind, in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind.

S. 37

Um zu betonen, dass auch Sex menschengemacht ist, sprechen heute viele Menschen nicht mehr vom “biologischen” oder “anatomischen” Geschlecht, sondern vom “bei der Geburt zugeordneten Geschlecht”. Das ist konkreter und geht weg von der Annahme, dass Körper qua Geburt entweder “männlich” oder “weiblich” sind und dass diese Labels natürliche und unveränderbare Gegebenheiten sind.

S. 26

Wenn einige der angesprochenen Themen für euch spannend klingen, würde ich euch das Buch definitiv empfehlen. Wenn ihr über einige Themen zum ersten Mal hört, wird es höchste Zeit sich mit ihnen zu beschäftigen (bei mir persönlich fand ich, dass ich damit bereits ziemlich spät dran war). Wenn einige der Themen euch unlogisch erscheinen oder ein Gefühl des Unwohlseins hervorrufen, würde ich euch “Die Zukunft ist nicht binär” umso mehr empfehlen, da es wahrscheinlich bedeutet, dass manche Glaubensgrundsätze dekonstruiert gehören.

Die Zukunft ist nicht binär – Lydia Meyer

★★★★☆ (4/5)

Ausgabe: ISBN 978-3-499-01060-6
Rowohlt Verlag, 2023

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